Von der Zeit

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Die Zeit vor den Tränen

„Sie weinten für 800 Tage, bis ihr Leichnam fast vollständig von dem Meer aus Tränen bedeckt war. Und nur dort wo ein Teil von ihr noch über die Fluten emporragte stiegen die Acht nieder und gaben sich selbst eine Form.“

Wir alle kennen diese Worte. Sie stammen aus „Von der Schaffung der Welt“ und es sind jene Worte, die Cha-Gala, der Gott der Zeit seinem höchsten Diener Tugold dem Flinken einst diktierte um für alle Zeiten und unzweifelhaft festzuhalten wie die Welt begann zu existieren.

Und genau deshalb werde ich in dieser Schrifft nun ebenjene Worte des Gottes der Zeit höchstselbst anzweifeln.

Um sogleich Missverständnisse aus dem Weg zu räumen – wohlwissend, dass es dennoch etliche geben wird, die mich einfach missverstehen wollen – ich zweifle weder an der Existenz der Götter, noch an ihrer Macht, bin ich doch selbst ein glühender Anhänger des Janás, der unserer Welt mit all der Herrlichkeit der Magie erfüllte.

Dennoch bin ich der Ansicht, das die oben zitierte Passage nicht allzu wörtlich genommen werden sollte.

Mein stichhaltigstes Argument für diese These sind die Aussagen diverser Elfen, die darauf bestehen schon viele hundert Jahre vor den Menschen gelebt zu haben, was schlichtweg nicht möglich wäre, da die Götter unser Volk im Jahr 0 n. Trä. schufen, wie wir ja alle aus dem Buch der Götter wissen.

Statt nun alle Elfen pauschal der Lüge zu bezichtigen, wie es einige meiner Kollegen leider zu tun pflegen, schlage ich eine andere Betrachtungsweise vor. Was ist, wenn die 800 Tage der Tränen in ihrer Länge eher 800 Jahren gleichkämen?

Schließlich bemessen wir die Zeit mithilfe von Hilas Sonnenscheibe, doch wie auch wir, ist sie ein Teil der Schöpfung und entstand demnach erst nach den Tränen. Davor wurde die Dunkelheit von Hilas strahlender Säule des Lichts im Zaum gehalten.

Mit welchem Recht nehmen wir also an, dass das was der Gott der Zeit als Tag bezeichnete, dasselbe ist, was wir heute als Tag verstehen, wenn doch die ganze Welt damals so gänzlich anders zu der war, die wir heute kennen?

Gastbeitrag im Kronwaller Kurier. Verfasst von Gordon Gerox, Professor für Alte Geschichte am Imperialen Institut Kronwall. Erster Ilmiastag im Monat der El-La, 986 n. Trä.

 

Antwort auf Professor Gerox‘ „Die Zeit vor den Tränen“

Mit großen Interesse habe ich die Arbeit meines geschätzen Kollegen Gerox gelesen und während ich anerkennen muss, dass er einige gute Argumente liefert, sah ich doch ein anderes Problem, das meiner Meinung nach eine viel größere, theologische Ungereimtheit aufgibt:

Wie kann es sein, dass sich Elfen an Jahrhunderte ohne die Menschen erinnern, wie kann es sein, dass – ihrer eigenen Mythologie zufolge – die Zwerge große Kriege und unzählige Schlachten führten, bevor die Tränen überhaupt begannen?

Nun, im Falle der Zwerge ist dieses Thema schnell abgehandelt, schließlich beruht ihre ganze Mythologie auf Lügen, Blasphemie und darauf einen falschen Gott anzubeten.

Mit den Elfen scheint die ganze Angelegenheit etwas heikler, schließlich gelten sie allgemein als vertrauenswürdig und beten zu denselben Göttern wie auch wir.

Doch ich würde dies hier nicht schreiben, wenn ich darauf keine adequakte Antwort zu geben wüsste. Wie schon Gerox ganz richtig fragte: Mit welchem Recht maßen wir es uns an, die Zeit zu verstehen, wenn nur Cha-Gala dies wirklich tut, denn schließlich ist er es, der sie fließen lässt und die Zeit vergeht so schnell und so langsam, wie auch immer er es wünscht.

Im Folgendem jedoch werde ich es mir anmaßen, dem Verständnis der Zeit zumindest so nah zu kommen, wie es einem menschlichen Verstand überhaupt möglich ist, denn als Gelehrte sehe ich es als meine Pflicht an, allen Mysterien der Welt auf die Spur zu kommen.

Darüber wie lange die Zeit der Tränen nun wirklich andauerte wird es wohl niemals eine zufriedenstellende Antworte geben, denn nur die Götter wurden Zeuge davon und sie sagten uns bereits alles, was wir darüber zu wissen brauchen: 800 Tage.

Die weitaus spannendere Frage jedoch ist, wie lange war das Jahr nach den Tränen?

Ein Jahr, so viel steht fest. Aber wer sagt, das es genau so lange war wie das Jahr danach? Ich bin nämlich der Ansicht, dass es keinesfalls so war, schließlich war das Jahr 0 n. Trä. das Jahr der Schöpfung und ich gehe davon aus, das dieses Jahr genau so lange ging, wie die Götter brauchten um die Schöpfung zu vollenden. Und das war – in der Wahrnehmung des Elfenvolkes – eben viele hundert Jahre lang.

Gastbeitrag im Kronwaller Kurier. Verfasst von Falyna min Zahrra, Professorin für Fremde Mythen am Imperialen Institut Kronwall. Erster Hilastag im Monat der El-La, 986 n. Trä.

 

Nachruf

Mit großem Bedauern gibt der Hohe Tempel der El-La bekannt, dass die beiden Gelehrten Gordon Gerox und Falyna min Zahrra, die unter heftigen Wahnvorstellungen leidend in das Haus unserer Göttin kamen und um ihre Hilfe baten, von gar fürchterlichen Dämonen besessen waren. Ein hinzugezogener Exorzist vom Tempel des Zilos war zwar in der Lage die Dämonen zu bannen und zurück in die Höllen zu schicken, doch waren die Strapazen für ihre geschwächten Körper zu groß und sie verstarben noch in der selben Nacht. Möge die Göttin sich ihrer Seelen als gnädig erweisen und sie in ein fruchtbares neues Leben führen!

Todesanzeige im Kronwaller Kurier. Erster Marastag im Monat der El-La, 986 n. Trä.

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